Ausgabe 03/2017 ·

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Ärztin mit verschränkten Armen
Beziehungsprobleme: Hausärzte und Fachärzte streiten über Grundversorgung choroba.de/Fotolia

Haus- und Fachärzte liegen im Clinch. Es geht um die Frage, wer sich das Label Grundversorgung anheften darf. Dabei gibt es den Begriff so gar nicht im Sozialgesetzbuch. Die Lücke will der Spitzenverband Fachärzte nun schließen. Seine Forderung: Alle Leistungen in der Grundversorgung sollen von den Krankenkassen voll bezahlt werden. Der Hausärzteverband reagiert mit erbittertem Widerstand.

Um zu verstehen, wo der Streit zwischen den Arztgruppen herrührt, muss man in die Vergangenheit schauen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren 90 Prozent aller Ärzte in den USA Hausärzte oder Fachärzte für Allgemeinmedizin. Mit der zunehmenden Spezialisierung der Medizin ab den 1950er Jahren in heute mehr als 50 Fachdisziplinen hat sich das Verhältnis stark verändert. Der General Practitioner ist selten geworden. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch hierzulande werden mehr Fachärzte als Hausärzte weitergebildet.

Fachärzte müssen für Hausärzte einspringen

Fragt man deutsche Gesundheitspolitiker, wie die ambulante Versorgung in zehn Jahren aussehen soll, kommt dennoch kaum eine Antwort ohne Verweis auf die Hausärzte aus. So wichtig die Generalisten für die Betreuung multimorbider Patienten sind, so häufig bleiben mittlerweile Hausarztsitze unbesetzt. In der Folge werden chronisch Kranke und Patienten mit alltäglichen Problemen immer öfter vom nächstgelegenen Facharzt mitbehandelt. Fachärzte leisten damit de facto Grundversorgung.

Daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Es fehlen wirksame Rezepte gegen den Hausärztemangel. Die Bemühungen, die Allgemeinmedizin als Studienfach attraktiver zu machen, stecken mit dem unvollendeten Masterplan 2020 fest. Das Förderprogramm für die Hausarzt-Weiterbildung läuft schleppend. Nur knapp die Hälfte der 7.500 Förderstellen wurde seit 2015 besetzt. Alle Gatekeeper-Modelle, bei denen die Patienten zwingend zuerst einen Hausarzt aufsuchen müssen, bleiben vor diesem Hintergrund reine Theorie.

Heinrich: „Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“

Es sei an der Zeit, den Alltag in den Praxen anzuerkennen, fordert der Vorsitzende des Spitzenverbands Fachärzte (SpiFa), Dr. Dirk Heinrich: „Wir Fachärzte wollen niemandem etwas wegnehmen, wir wollen keine zusätzlichen Aufgaben, aber wir verlangen, dass man die real existierende Welt zur Kenntnis nimmt.“ Wo kein Hausarzt wohnortnah erreichbar sei, bleibe den Patienten nur der Gang zum Facharzt. In vielen Fällen sei das sogar medizinisch sinnvoll: „Wer Ohrenschmerzen hat, muss nicht zwingend zuvor zum Hausarzt und sich von dort zum HNO-Arzt überweisen lassen.“ Solche unimorbiden Patienten künftig immer zuerst durch die Hausarztpraxis zu leiten, würde zu unnötig langen Wartezeiten führen, argumentiert Heinrich.

Seine Idee: Alle Grundleistungen von Haus- und Fachärzten sollen aus der Budgetierung ausgenommen werden. Nach SpiFa-Definition sind darunter alle Betreuungs- und Koordinationsleistungen sowie die meisten Leistungen konservativ tätiger Fachärzte zu verstehen. Die Praxisumsätze würden in dem Bereich um 20 bis 30 Prozent steigen. Das entspricht der Menge der unbezahlten GKV-Leistungen eines niedergelassenen Facharztes.

Hausärzteverband kritisiert Klientelpolitik

Beim Deutschen Hausärzteverband (DHÄV) will man von solchen „Gedankenspielen“ nichts wissen. „Diese Phantastereien sind nicht nur wirr, sondern auch eine echte Gefahr für die Patientenversorgung“, schimpft DHÄV-Chef Ulrich Weigeldt. Hausärztliche Aufgaben könnten von Gebietsfachärzten nicht „im Vorbeigehen miterledigt“ werden. Der SpiFa-Vorschlag sei ein „Spiel mit dem Feuer“ und gefährde die Qualität der Versorgung. Statt für die hausärztliche Versorgung zu werben, werde auf „niedrigstem Niveau Klientelpolitik“ betrieben.

Auf welchem Niveau die Diskussion mittlerweile geführt wird, zeigt sich unterdessen bei einer Pressekonferenz des Hausärzteverbandes Mitte September. Ein Hörtest sei keine große Sache, erklärt Verbandschef Weigeldt süffisant vor den Journalisten. Wenn jemand das Mal gemacht habe, wisse er, wie das gehe: „Kopfhörer aufsetzen, Knopf drücken und gucken, was auf dem Zettel steht.“ Es gebe andere Techniken, die etwas komplexer seien, die man aber in der hausärztlichen Praxis anwende: „Das sind die mit der Stimmgabel.“ Weigeldts Botschaft: Was ihr könnt, können wir schon lange. Der Hausarzt ist das Maß aller Dinge.

Traumatische Erfahrungen

Die harsche Reaktion auf den SpiFa-Vorschlag lässt sich am ehesten mit den Grabenkämpfen der Vergangenheit erklären. Früher wähnten sich Allgemeinmediziner generell im Nachteil, wenn es um ihr Honorar am Quartalsende ging – eine scheinbar traumatische Erfahrung mit Nachwirkungen bis heute. Anders ist das Auftreten des Hausärzteverbandes kaum zu erklären. Denn seit 2000 werden die budgetierten Honorarumsätze zwischen Haus- und Fachärzten nach einem festen Faktor getrennt. Hausärzte erhalten im Bundesdurchschnitt etwa 52 Prozent, Fachärzte 48 Prozent vom gesamten GKV-Honorar. Damit wollte die Politik den Hausarztberuf fördern. Die Einkommen der Hausärzte sind seitdem deutlich gestiegen und liegen mittlerweile im oberen mittleren Bereich.

Was für den Hausärzteverband als unverrückbare Friedenslinie gilt, benachteiligt Fachärzte, die viele Patienten in der Grundversorgung betreuen. Mit dem SpiFa-Vorschlag könnte das Problem gelöst werden, ohne die Hausarzthonorare anzufassen. Voraussetzung sei, dass alle Praxisärzte an einem Strang ziehen, appelliert Heinrich. Denn das eigentliche Ziel sei der „Einstieg in den Ausstieg aus der Budgetierung“. Die Chancen, mit dem Vorschlag bei der Politik zu landen, sinken indes mit dem öffentlich geführten Ärztestreit.

Märchen von der geknechteten Fachgruppe

Was die wahren Gründe für den Widerstand des Hausärzteverbands seien, darüber könne er nur spekulieren, sagt SpiFa-Vorstand Heinrich: „Will der Deutsche Hausärzteverband die Leistungen der Hausärzte weiterhin im Budget behalten? Da kann man nur hoffen, dass dieses Vorgehen nicht durch die Verträge zur hausarztzentrierten Versorgung und deren Schutz motiviert ist.“ Angesichts dieser Verhältnisse müsse man davon ausgehen, dass „hier nur das Märchen von der geknechteten Fachgruppe weitererzählt werden soll“.

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Autorin

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Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. vertritt die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der HNO-Ärztinnen und -Ärzte in Praxis und Klinik. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die fachliche Beratung von ärztlichen Organisationen, wie Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie von Politik und anderen öffentlichen Einrichtungen. Der Verband unterstützt seine Mitglieder bei allen beruflichen Belangen und fördert mit der Organisation eigener Fortbildungsveranstaltungen den Wissenserwerb seiner Mitglieder.

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