Ausgabe 03/2023 ·

Gender Health Gap: Ungleichheit im Gesundheitswesen

Älteres Paar bei der Medikamenteneinnahme
Arzneimittel wurden jahrelang nur an Männern getestet Miljan Zivkovic/Adobe Stock

Gibt es ein geschlechtsspezifisches Ungleichgewicht in der medizinischen Behandlung, spricht man vom „Gender Health Gap“. Während das Bewusstsein hierfür in der Medizin sehr groß ist, ist das Thema in der Bevölkerung kaum bekannt.

Laut einer Umfrage des Versicherungskonzerns AXA glaubt nur knapp jeder zweite Befragte (49 Prozent), dass das Geschlecht bei der Behandlung relevant ist. Unter den befragten Hausärztinnen und -ärzten sind es 96 Prozent.

Klinische Studien an Männern orientiert

Medizin und Gesundheitsforschung haben sich in der Vergangenheit primär an Männern orientiert. Jahrzehntelang wurden wissenschaftliche Studien mit männlichen Probanden durchgeführt, Medikamentendosen an männliche Probanden angepasst und Krankheiten mit ihren Symptomen an Männern gelehrt. Ein Grund für die zurückhaltende Beteiligung von Frauen an frühen klinischen Studien war der Contergan-Skandal der 1960er Jahre.

Dies hat sich erst 2004 geändert. Seitdem müssen für die Zulassung eines Wirkstoffs geschlechtsspezifische Unterschiede untersucht werden. Grund dafür war die Erkenntnis, dass die Unterschiede zwischen Frauen und Männern – unter anderem in Bezug auf Fett-, Muskel- und Knochenmasse, Hormonstatus, für den Um- und Abbau von Arzneistoffen relevante Enzymaktivitäten, Art und Anzahl von Rezeptoren und Schmerzempfindlichkeit – Einfluss auf die Wirksamkeit oder Verträglichkeit von Arzneimitteln haben können. Ein Problem sind bereits zugelassene Medikamente, die überwiegend oder ausschließlich an Männern erprobt worden sind. Hier wird nicht nochmal ihre Wirkweise auf Frauen überprüft.  

Krankheitssymptome unterscheiden sich

Die Fokussierung auf den männlichen Körper setzt sich auch in der Beschreibung von Symptomen fort. Der bekannteste Fall ist sicherlich der Herzinfarkt, der bei Männern und Frauen ganz unterschiedliche Symptome hervorrufen kann. Männer leiden häufig unter plötzlich auftretenden, starken Schmerzen im Brustkorb, die in andere Körperregionen, z.B. die Arme, ausstrahlen. Diese Symptome sind in der Bevölkerung weithin bekannt. Bei Frauen werden Herzinfarkte häufiger übersehen und sie haben eine höhere Sterberate, obwohl sie seltener daran erkranken. Denn Anzeichen wie Atemnot, kalter Schweiß und Rückenschmerzen werden häufig nicht mit einem Herzinfarkt in Verbindung gebracht.

Der Gender Health Gap betrifft beide Geschlechter. So ist einerseits der Forschungsstand zu bestimmten Krankheiten, die überwiegend oder ausschließlich Frauen betreffen, schlechter. Ein Beispiel ist die Endometriose, die rund zwei Millionen Frauen allein in Deutschland betrifft, und deren Erforschung erst in den letzten Jahren richtig ins Rollen gekommen ist.

Auch Männer betroffen

Andererseits werden typische „Frauenerkrankungen“ bei Männern noch zu selten diagnostiziert. Das gilt zum Beispiel für Osteoporose oder Depressionen. Bei psychischen Erkrankungen verhindern nicht nur unterschiedliche Symptome, sondern auch stereotype Rollenzuschreibungen, dass diese bei Männern übersehen werden. Dazu passt auch, dass mehr als 55 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte in der AXA-Studie unsicher sind, ob sie in der Vergangenheit bereits eine fehlerhafte Diagnose aufgrund geschlechtsspezifischer Unterschiede gestellt haben. Es gibt also in beide Richtungen noch einiges zu tun.

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