Ausgabe 02/2022 ·

HNO-Berufsverband fordert Hörscreening ab 50 Jahren

Ältere Frau beim Hörtest
Schwerhörigkeit kommt schleichend, ein Hörtest bringt Gewissheit Artemenko_Daria/Adobe Stock

Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V. fordert mehr Anstrengungen bei der Früherkennung von Hörstörungen. Ein gesetzliches Hörscreening ab 50 Jahren sei dringend notwendig, konstatiert der Präsident des Berufsverbandes, Dr. Dirk Heinrich.

Er verweist auf die hohe Zahl an Menschen mit einer unbehandelten Schwerhörigkeit und die damit verbundenen gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Folgen. „Wir wissen auf Grundlage von Forschungsdaten, dass Schwerhörigkeit einer der größten beeinflussbaren Risikofaktoren für eine Demenzerkrankung ist. Gleichzeitig sind sich die meisten Menschen ihrer Hörstörung nicht bewusst. Ein Hörscreening ab der Lebensmitte wäre ein wichtiger Schritt, um Millionen Menschen ein gesundes Altern zu ermöglichen“, appelliert Heinrich.

Schwerhörigkeit kommt schleichend

Besonders ab einem Alter von 50 Jahren steige die Zahl an Schwerhörigen rapide, ergänzt Priv.-Doz. Dr. Jan Löhler. Der Grund hierfür liege oft in einer altersbedingten Schwerhörigkeit, so der Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für angewandte HNO-Heilkunde (WIAHNO). „Durch sie kommt es zu lebenszeitbedingten degenerativen Prozessen im Bereich des Innenohres. Da die Veränderung in der Regel schleichend verläuft, wird der Hörverlust allzu oft nicht wahrgenommen und nicht ärztlich behandelt“, erklärt der HNO-Experte. Untersuchungen zeigen, dass nur etwa 20 Prozent aller Personen ab 65 Jahren mit einer mittleren bis hochgradigen Hörstörung sich selbst als höreingeschränkt bezeichnen.

Auch der Anteil der adäquat versorgten Menschen sei erschreckend niedrig, so Löhler weiter: „Nur circa 30 Prozent der Bedürftigen tragen Hörgeräte.“ Die Gesamtzahl an Menschen mit einer Hörminderung in Deutschland sei darüber hinaus nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von circa 15 Millionen Menschen aus, die hierzulande an einer relevanten Schwerhörigkeit leiden. „Es fehlen bis heute belastbare Daten zur Prävalenz der Schwerhörigkeit. Es wäre ein erster, wichtiger Schritt, diese Forschungslücke zu schließen und dem Thema Hörgesundheit den nötigen Stellenwert zukommen zu lassen“, erläutert Löhler.

Demenz, Depressionen, Sturzgefahr

Die Folgen einer unbehandelten Schwerhörigkeit reichen von sozialen Problemen, mit Isolation und Ausgrenzung der Betroffenen, bis zu neurodegenerativen Schädigungen. Löhler: „Aufgrund komplexer Veränderungen im Bereich des Gehirns, die unter anderem auf Kompensation und neuronaler Umprogrammierung beruhen, kommt es zu einer Störung auf kognitiver Ebene. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit sinkt, das Risiko, an einer Demenz zu erkranken oder eine Depression zu erleiden steigt.“ Zudem sei der Gleichgewichtssinn betroffen, mit dem Risiko zu stürzen. Bei der Gesamtbetrachtung der Folgen müssten zudem die wirtschaftlichen Folgen, zum Beispiel durch den Ausfall der Arbeitsleistung der hörgeminderten Menschen, einberechnet werden, ergänzt HNO-Arzt Löhler.

Auf internationaler Ebene komme dem Thema mittlerweile die nötige Aufmerksamkeit zu, fährt Verbandspräsident Heinrich fort. So sei Schwerhörigkeit nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein wesentliches globales Gesundheitsproblem. Insbesondere zur Vermeidung der mit unversorgter Schwerhörigkeit verbundenen Begleiterkrankungen empfehle die WHO, Erwachsene ab einem Alter von 50 Jahren regelmäßig auf Hörverlust zu testen. Ähnlich zum Neugeborenen-Hörscreening oder dem Screening auf Hautkrebs sei es daher dringend erforderlich, ein Hörscreening für alle Menschen ab 50 Jahren in Deutschland einzuführen, unterstreicht Dr. Dirk Heinrich. „Wir verfügen in Deutschland über ein dichtes Netz aus rund 3.700 niedergelassenen HNO-Fachärztinnen und -Fachärzten. Alle Praxen haben das Know-how und die apparativen Voraussetzungen für ein Hörscreening. In der Zusammenarbeit mit den Hörgeräteakustikern vor Ort oder – im Fall von schwerwiegenden Hörstörungen – durch die Einbeziehung der HNO-Kliniken, kann den betroffenen Patientinnen und Patienten schnell und niedrigschwellig geholfen werden.“

Gesamtgesellschaftliche Anstrengung nötig

Allerdings könne die nötige Aufmerksamkeit für das Thema Hörgesundheit nicht allein durch die Ärztinnen und Ärzte und die direkt an der Versorgung Beteiligten aus Wirtschaft und Wissenschaft erreicht werden. „Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um dem Problem Herr zu werden. Ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenes und von den gesetzlichen Krankenkassen getragenes Hörscreening ab 50 Jahren ist die notwendige Antwort auf die Hörprobleme einer immer älter werdenden Bevölkerung“, so HNO-Arzt Heinrich. Die vermeidbaren gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen seien wissenschaftlich belegt und liefern die Argumente für die Einführung eines Früherkennungsprogramms.

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Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. vertritt die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der HNO-Ärztinnen und -Ärzte in Praxis und Klinik. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die fachliche Beratung von ärztlichen Organisationen, wie Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie von Politik und anderen öffentlichen Einrichtungen. Der Verband unterstützt seine Mitglieder bei allen beruflichen Belangen und fördert mit der Organisation eigener Fortbildungsveranstaltungen den Wissenserwerb seiner Mitglieder.

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