Die Notfallversorgung hat gute Chancen, zum Wahlkampfthema der Parteien zur Bundestagswahl zu werden. Zwar werden nur vergleichsweise wenige Patienten in den Klinikambulanzen behandelt. Jährlich kommen rund 30 Millionen Patienten in die Notaufnahmen. In den Praxen fallen im gleichen Zeitraum fast 600 Millionen Behandlungsfälle an. Dennoch sorgen die nach Aussage von KBV-Vorstand Dr. Stephan Hofmeister circa elf Millionen Patienten, die ohne Weiteres ambulant behandelt werden könnten, für gehörigen Ärger zwischen den Vertretern von Kliniken und Vertragsärzten. Da die Patienten in den Kliniken mitunter viele Stunden auf einen Arzt warten müssen, besteht darüber hinaus reichlich Angriffsfläche für politischen Aktionismus im Wahljahr. Es droht eine weitere ambulante Öffnung der Kliniken.
KBV will 116117 bekannter machen
Wo die Gräben zwischen den Sektoren verlaufen, zeigte sich bei einer Diskussionsrunde mit dem Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Thomas Reumann und KBV-Vorstand Hofmeister Ende Mai in Berlin. Grund für die überlaufenden Notaufnahmen seien die niedergelassenen Ärzte, ätzte Reumann. Von ihnen fühlten sich die Patienten in Notfällen nicht adäquat versorgt. Viele Menschen kämen zudem direkt aus der Praxis in die Ambulanzen. Den Vorwurf wollte Hofmeister nicht auf sich sitzen lassen und lobte die Sicherstellung durch die niedergelassenen Ärzte. Gleichzeitig gab der KBV-Vize zu, dass es einen Wandel in der Inanspruchnahme der Patienten gebe. Dennoch sei es nicht die richtige Antwort, das Notfallangebot der Kliniken auszubauen. Um die bundesweit einheitliche kassenärztliche Notfallnummer 116117 bekannter zu machen, müsse es eine „konzertierte Anstrengung“ geben. Eine „dritte Säule Notfallversorgung“ brauche es in jedem Falle nicht. „Wenn ich sowas höre, muss ich lachen“, stellte Hofmeister mit Verweis an die Adresse des Marburger Bundes klar. Dieser hatte wenige Tage zuvor in einem Eckpunktepapier gefordert, die Notfallversorgung von Kliniken und Praxen zusammenzuführen.
Großes Vertrauen habe er in die Behandlung durch den Bereitschaftsdienst nicht, entgegnete Reumann: „Wenn ein HNO-Arzt dasitzt und Sie Schulterschmerzen haben, sind Sie schnell am Ende.“ Alles in allem seien die Vertragsärzte offensichtlich mit der Situation überfordert. „Die KVen können ihren Sicherstellungsauftrag nicht erfüllen“, kritisierte der DKG-Präsident. Denn egal wie hoch der Anteil der Kliniknotfälle im Vergleich zu allen ambulanten Behandlungsfällen auch sei. Man müsse sich letztlich fragen, was für Versorgungsbedarfe die Menschen haben. Die Antwort blieb Reumann nicht schuldig: „Die Menschen wollen rasche Angebote.“
Kanada als Vorbild
Ein richtiger Ansatz für zukünftige Versorgungsstrukturen seien daher Modelle mit zentralisierten Strukturen, wie sie zum Beispiel in Kanada existierten. Auch in Deutschland müsse man sich über eine integrierte Versorgungsplanung beider Sektoren Gedanken machen. Dafür liege die Letztverantwortung bei den Ländern. „Die Planung muss in gemeinwohlverpflichtender Hand bleiben“, erklärte der Reutlinger Landrat. Diesen Frontalangriff auf den Sicherstellungsauftrag der KVen lehnte Hofmeister kategorisch ab. Mit Verweis auf die teuren Fallpauschalen in den Krankenhäusern sagte der KV-Vorstand: „Wir stellen sicher und das für einen moderaten Preis.“ Zwar müsse die Bedarfsplanung erneuert werden, sie gehöre jedoch nicht in politische Hand. Außerdem sei die KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts per Definition gemeinwohlverpflichtet. Das Argument Reumanns lasse er daher nicht gelten.