Ausgabe 01/2019 ·

Studierende im Praktischen Jahr – Wer ist verantwortlich, wenn Medizinstudenten Fehler machen?

Ein junger Mann stützt den Kopf in die Hände
Wer ist verantwortlich, wenn Medizinstudenten Fehler machen? wutzkoh/Fotolia

Der letzte Ausbildungsabschnitt des Medizinstudiums ist das praktische Jahr (PJ). In drei verschiedenen Ausbildungsabschnitten von jeweils 16 Wochen werden die Studierenden in Universitätskliniken, Lehrkrankenhäusern oder Lehrpraxen in den Fachgebieten der Inneren Medizin, der Chirurgie und der Allgemeinmedizin bzw. einem anderen klinisch-praktischen Fachgebiet (Wahlfach) an die ärztliche Praxis herangeführt. Einzelheiten regeln die §§ 3 und 4 der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO). Eine aktuelle Umfrage unter Studierenden im Praktischen Jahr durch den Marburger Bund (“PJ-Umfrage 2018“) beleuchtet die derzeitigen Ausbildungsbedingungen. Die aus der Umfrage gewonnenen Ergebnisse lassen daran zweifeln, ob das PJ in der täglichen Praxis schwerpunktmäßig dem Zwecke der Ausbildung dient, oder aber vor allem den in Kliniken vorherrschende Personalnotstand durch die Studierenden aufgefangen soll.

Diese Diskussion haben wir zum Anlass genommen werden, das PJ unter rechtlichen Gesichtspunkten genauer zu beleuchten: Welche Aufgaben dürfen Medizinstudenten als PJler eigentlich selbstständig erledigen und wer haftet, wenn tatsächlich einmal etwas schiefgeht? Welche Verantwortung tragen Klinikleitung und Ober- bzw. Chefärzte bzw. Praxisinhaber als verantwortliche Vorgesetzte? Der nachfolgende Beitrag gibt anhand konkreter Fallbeispiele aus der Rechtsprechung Aufschluss über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Studierenden im Praktischen Jahr.

Was dürfen Medizinstudenten?

Die medizinische Ausbildung erfordert neben dem Erwerb theoretischer Kenntnisse auch die praktische Arbeit am Patienten. Deshalb ist es zwingend erforderlich, dass die Studierenden nach und nach praktische ärztliche Aufgaben übernehmen, bei denen sie in direktem Patientenkontakt stehen.

3 Abs. 4 ÄAppO regelt die Einzelheiten zum Einsatz von PJlern:

„Während der Ausbildung (…) sollen die Studierenden die während des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vertiefen und erweitern. Sie sollen lernen, sie auf den einzelnen Krankheitsfall anzuwenden. Zu diesem Zweck sollen sie entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Vorrichtungen ausführen. (…) Die Studierenden dürfen nicht zu Tätigkeiten herangezogen werden, die ihre Ausbildung nicht fördern (….)“.

Da diese gesetzlichen Vorgaben einen relativ großen Interpretations- und Ermessensspielraum erlauben, ist die individuelle Zuweisung der richtigen Aufgaben an den jeweiligen Medizinstudenten in der praktischen Anwendung im Alltag oftmals äußerst schwierig. Denn mit jeder Fehleinschätzung durch den ausbildenden Arzt über die Qualifikation und das Können des Medizinstudenten besteht ein gesteigertes Risiko für das Wohl der behandelten Patienten.

Als Faustregel gilt: Grundsätzlich darf dem angehenden Arzt eine Aufgabe erst dann zugewiesen werden, wenn er aufgrund seines Ausbildungsstandes auch dazu befähigt ist. Insoweit dürfen die Studierenden keine höchstpersönlichen, nicht delegationsfähigen ärztlichen Aufgaben übernehmen, wie etwa Anamnese und die Diagnosestellung, bei denen der Ausbilder erkennen kann, dass diese Aufgaben (noch) nicht vom Studierenden beherrscht werden. Auch die erstmalige Verabreichung eines Arzneimittels darf nicht durch einen Medizinstudenten erfolgen, da es unter Umständen zu einer allergischen Reaktion oder anderen schwerwiegenden Komplikation beim Patienten kommen kann, die nur mit dem Wissen und der Erfahrung eines (Fach-) Arztes beherrscht werden. Andere Aufgaben, wie beispielsweise die Blutentnahme oder Infusionswechsel, können an Studierende delegiert werden – immer unter der Voraussetzung, dass sich der ausbildende Arzt vom Können des PJlers überzeugt hat und dieser entsprechend angeleitet worden ist.

Wieviel Aufsicht muss sein?

Eine Frage, die sich im Alltag häufig stellt, lautet: Muss wirklich jeder Handgriff der PJler überwacht werden oder dürfen diese auch selbstständig, d. h. unbeobachtet, tätig werden? Auch hier verbietet sich eine Pauschalantwort und es gibt es keine feste Zeitvorgabe, ab wann Studenten einfachere Behandlungsschritte eigenständig ausführen dürfen. Wenn ein Student eine bestimmte Maßnahme jedoch ein paar Mal unter tatsächlicher Anleitung des verantwortlichen Arztes erfolgreich und sicher durchgeführt hat, spricht nichts dagegen, ihm diese Aufgaben beim nächsten Mal selbst zu überlassen, ohne dass ein anderer Arzt daneben steht bzw. ihn anleitet. Ausreichend ist es in diesem Fall, wenn ein verantwortlicher Arzt in Rufweite, d. h. auf Station ist und jederzeit im Zweifel eingreifen kann. Vom alleinigen Einsatz von Medizinstudenten im Bereitschaftsdienst außerhalb der üblichen Dienstzeiten und am Wochenende ist in jedem Fall, also generell, abzusehen, wie der folgende Fall zeigt:

Erhöhtes Haftungsrisiko für alle Beteiligten beim alleinigen Einsatz von PJlern

Gerade bei der in vielen Kliniken bestehenden Personalknappheit ist die Versuchung groß, Medizinstudenten Aufgaben zu übertragen, für die sie noch nicht befähigt sind, um auf diese Weise Personalengpässe zu kaschieren. Ein Negativbeispiel ging 2014 durch die Medien: Eine Medizinstudentin im 10. Semester war als einzige postoperative Nachtwache in einer Klinik für plastische Chirurgie eingesetzt worden und hatte dort einer frisch operierten Patientin, bei der Komplikationen aufgetreten waren, anstelle einer Kochsalzlösung versehentlich ein Narkosemittel, das von der Operation übriggeblieben war, intravenös verabreicht. Die Patientin fiel daraufhin ins Koma und trug irreparable schwerste Hirnschäden davon, woraufhin ihr Lebenspartner die Beteiligten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagte (Landgericht Mainz, Urteil vom 09.04.2014, AZ: 2 O 266/11). Das Landgericht verurteilte den Klinikträger sowie den Geschäftsführer der Klinik persönlich zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von knapp 500.000, 00 Euro sowie zur Übernahme sämtlicher Folgeschäden. Mit der Medizinstudentin sei völlig ungeeignetes Personal eingesetzt worden und damit habe die Klinik gegen ihre Verpflichtung verstoßen, die Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards durchzuführen. Auch die Medizinstudentin wurde persönlich haftbar gemacht, da ihr nach ihrem Ausbildungsstand die Verwechslung hätte auffallen müssen (sog. Übernahmeverschulden).

Praxistipp

Viele Medizinstudenten gehen fälschlicherweise davon aus, dass bei eigenen Fehlern ohnehin nur das Krankenhaus oder der Praxisinhaber haftet. Wer jedoch sehenden Auges Aufgaben übernimmt, denen er nicht gewachsen ist oder unüberschaubare Risiken eingeht, muss in der Regel zumindest einen Teil der Verantwortung tragen. Im Zweifel müssen Medizinstudenten daher (Nacht-) Dienste ablehnen, wenn ihnen dabei kein ärztlicher Betreuer zur Seite steht. Auch die oftmals vorgetragene Begründung, man habe sich nicht getraut, den Oberarzt in der Rufbereitschaft (zum dritten Mal) zu stören, kann sie nicht exkulpieren. In diesen Fällen droht regelmäßig eine eigene Haftung der PJler aufgrund eines Übernahmeverschuldens, das auch Assistenzärzte immer im Hinterkopf haben müssen, um nicht selbst für eingetretene Komplikationen zu haften.

Riskant: Selbstständige Aufklärung durch Studenten

Da die Anforderungen an die ärztliche (Risiko-) Aufklärung immer strenger werden und das Thema im Medizinstudium häufig vernachlässigt wird, sollten Medizinstudenten während ihrer Ausbildung im Praktischen Jahr auch lernen, welche Grundsätze bei der ärztlichen Aufklärung und Dokumentation zu beachten sind. Bei der Aufklärung handelt es sich insoweit um eine ärztliche Aufgabe, die zwar grundsätzlich nicht auf nichtärztliches Personal übertragen werden darf, jedoch im Rahmen der Ausbildung nach § 3 Abs. 4 ÄAppO durchaus von PJlern wahrgenommen werden kann und wahrgenommen werden sollte. Von einer alleinigen Aufklärung durch den Studenten ist jedoch grundsätzlich abzuraten, vielmehr sollte die Aufklärung – jedenfalls anfangs – stets im Beisein und unter Aufsicht eines erfahrenen (Fach-) Arztes erfolgen. Zwar erachtete das Oberlandesgericht Karlsruhe mit einem – vereinzelt gebliebenen und viel kritisierten – Urteil vom 29.01.2014 (7 U 163/12) die Risikoaufklärung zu einer Herzkatheteruntersuchung durch eine Medizinstudentin im Praktischen Jahr für wirksam. Die Studentin hatte bereits einige Male Aufklärungsgesprächen zu eben dieser Untersuchung beigewohnt, so dass das Gericht davon ausging, dass sie die Aufklärung wirksam vornehmen konnte, auch ohne dass ein anderer Arzt anwesend war. Darüber hinaus sahen die Richter die Aufklärungssituation als vergleichsweise harmlos an, da es hierbei zu keinem medizinischen Notfall kommen könne. Die Aufklärung durch einen Medizinstudenten muss daher nicht per se unwirksam sein; doch auch wenn diese in Einzelfällen zulässig sein sollte, ist aus Vorsichtsgründen davon abzuraten, Medizinstudenten systematisch die eigenständige Risikoaufklärung zu übertragen.

Aufklärung ist äußerst haftungsrelevant

Im Arzthaftungsverfahren liegt die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung stets beim Arzt bzw. dem Krankenhaus und der konkrete Nachweis, dass der Student ebenso wie ein erfahrener Facharzt aufgeklärt hat, wird in aller Regel schwierig zu erbringen sein. Auch wenn es durch die Aufklärung selbst nicht zu medizinischen Notfällen kommen kann, entscheidet doch die Aufklärung darüber, ob der geplante Eingriff insgesamt zulässig ist oder nicht. Darüber hinaus tendiert die Rechtsprechung immer mehr dazu, strengere Anforderungen an die Aufklärung zu stellen, so dass die Risiken einer fehlerhaften Aufklärung nicht noch durch den Einsatz von (noch nicht ausgebildeten) Medizinstudenten erhöht werden sollten.

Landgericht Bielefeld: PJler wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

In einem äußerst tragischen Fall wurde einem Medizinstudenten eine folgenschwere Verwechslung zum Verhängnis: Er hatte einem an Leukämie erkranken Kind ein orales Antibiotikum intravenös verabreicht, da er davon ausgegangen war, es handele sich hierbei um das intravenös zu verabreichende Medikament Refobacin. Da ihm aufgrund seines Kenntnisstands die Verwechslung hätte auffallen müssen – die Spritze war unbeschriftet, hatte keine Nadel mit Schutzhülle aufgesteckt und lag auf dem Nachttisch und nicht auf einem Spritzentablett – und er von der verantwortlichen Ärztin lediglich den Auftrag zur Blutentnahme erhalten hatte, wurde er wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt (Urteil vom 14.08.2013 – 11 Ns – 16 Js 279/11). Festgestellt wurde außerdem, dass die Klinik bzw. die verantwortlichen Ärzte ihre Sorgfaltspflichten verletzt hatten, indem sie dem Studenten allzu freie Hand gelassen und ihn nicht ausreichend überwacht hatten.

Wann haftet der Chefarzt bzw. Praxisinhaber für Fehler des PJlers?

Überträgt der verantwortliche Arzt (Chef- oder Oberarzt, Praxisinhaber) einem Medizinstudenten Aufgaben, denen dieser erkennbar nicht gewachsen ist oder vernachlässigt er seine Aufsichtspflicht und unterläuft dem Studenten ein Fehler, kommt eine persönliche Haftung des Arztes wegen Organisationsverschuldens – ggf. neben der Haftung des Studenten wegen Übernahmeverschuldens – in Betracht. Neben der Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld, was in der Regel die Haftpflichtversicherung übernimmt und den Arzt daher jedenfalls finanziell nicht belastet, kann dies unter Umständen aber auch strafrechtliche und berufsrechtliche Folgen für den Arzt haben. In letzter Zeit wurde vermehrt eine persönliche Verantwortlichkeit des Chefarztes bzw. des Praxisinhabers wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung bei Fehlern von nachgeordneten Ärzten oder eben auch Studenten angenommen, selbst wenn (oder gerade weil) der Chefarzt bzw. der Praxisinhaber zum Zeitpunkt des Geschehens gar nicht in der Klinik oder Praxis anwesend und in das Geschehen gar nicht unmittelbar involviert war. Grund ist die allgemeine Organisationsverantwortung des Chefarztes bzw. des Praxisinhabers für seine Abteilung bzw. Praxis und dessen Verpflichtung, durch Anweisungen und Handlungsempfehlungen jederzeit einen geregelten und standardgemäßen Ablauf in seiner Abteilung bzw. Praxis sicherzustellen. Diese persönliche Verantwortung für die Abläufe in der eigenen Abteilung bzw. Praxis sollte jedem Chefarzt und anderen leitenden Ärzten sowie den Praxisinhabern bekannt und bewusst sein.

Praxishinweis

Die praktische Ausbildung von Medizinstudenten ist unerlässlich, um guten ärztlichen Nachwuchs zu erhalten und zu fördern. Wichtig ist dabei, den Studenten etwas zuzutrauen, damit diese Selbstsicherheit im Umgang mit den Patienten gewinnen und lernen, eigene ärztliche Entscheidungen zu verantworten. Die aufgezeigten Risikofelder sollen dabei keine Angst erzeugen, sondern lediglich als Richtschnur dienen und im Hinterkopf bleiben, um Zwischenfälle möglichst zu vermeiden. Zur Gewährleistung eines hohen Standards und zur rechtlichen Entlastung des verantwortlichen (Chef-) Arztes bzw. Praxisinhabers empfiehlt es sich, interne Vorgaben zum Einsatz von Studenten festzulegen und den Studenten zur Verfügung zu stellen bzw. mit ihnen zu besprechen.

A. Wienke, R. Bernauer

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Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e.V. vertritt die ideellen und wirtschaftlichen Interessen der HNO-Ärztinnen und -Ärzte in Praxis und Klinik. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen die fachliche Beratung von ärztlichen Organisationen, wie Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen sowie von Politik und anderen öffentlichen Einrichtungen. Der Verband unterstützt seine Mitglieder bei allen beruflichen Belangen und fördert mit der Organisation eigener Fortbildungsveranstaltungen den Wissenserwerb seiner Mitglieder.

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