Ausgabe 01/2019 ·

TSVG-Dialog mit Minister Spahn: Das Tribunal blieb aus

Der Minister an einem Rednerpult
Jens Spahn bei Dialogveranstaltung: Ein Format, ganz auf den Minister zugeschnitten Lopata/axentis

Seit Monaten wird das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) hoch und runter diskutiert. Vor allem die Ausweitung der Mindestsprechstundenzeiten auf 25 Stunden pro Woche verärgert viele Ärzte. Bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum TSVG zeigte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn grundsätzlich gesprächsbereit für Last Minute-Änderungen an seinem großen Reform-Gesetz. Bei den 25 Stunden werde es jedoch bleiben, so Spahn. Bei diesem Punkt sei „die Veränderungswahrscheinlichkeit nicht sehr ausgeprägt.“

Berlin, Mitte Januar: Sicherheitshalber erinnerte der Moderator die rund 200 Teilnehmer zu Beginn der Dialogveranstaltung an die anwesenden Journalisten im Saal. Denn an mitunter derber Kritik am wichtigsten Reformgesetz der laufenden Legislatur mangelte es im Vorfeld nicht. Erst im Dezember hatte die KBV-Vertreterversammlung Spahns Gesetzentwurf als „beleidigend“ und „ehrverletzend“ gebrandmarkt. Die Sorge war am Ende unbegründet. In den rund 90 Minuten Diskussionszeit blieb der Ton weitestgehend sachlich. Das befürchtete Tribunal blieb aus. Auch ein Papierstapel mit tausenden Protestunterschriften, der dem Minister gleich zu Beginn in die Hände gedrückt wurde, brachte Jens Spahn nicht aus der Fassung. Grundsätzliche Kritik am Gesetzeswerk parierte er gekonnt. Gleichzeitig stellte er glaubhaft in Aussicht, einzelnen Verbesserungsvorschlägen nachgehen zu wollen. An anderen Stellen machte er deutlich, wo der Koalitionsvertrag keinen Spielraum lasse.

Ein auf den Minister zugeschnittenes Format

Jens Spahn war anzumerken, dass das Format der Veranstaltung nicht besser auf ihn hätte zugeschnitten sein können. Was andere Politiker ins Schwitzen gebracht hätte, nutzte der Minister wortgewandt zu seinen Gunsten. Nicht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hätte ihn eingeladen. Es sei seine Initiative gewesen, sein wichtigstes Gesundheitsgesetz bei einer Vertreterversammlung vorzustellen. Die massive Kritik an den 25 Stunden könne er nicht nachvollziehen. Denn alle Ärzte, die ihn darauf ansprechen, versicherten ihm stets gleichzeitig, dass sie selbst von der Regelung nicht betroffen seien. Bei den 25 Stunden handele es sich um den Kompromiss mit der SPD, die Bürgerversicherung nicht einzuführen. Ein Wortbruch sei mit ihm nicht zu machen, machte der Minister unmissverständlich deutlich.

Entbudgetierung: „Das werden wir nicht machen“

Darüber hinaus sei er jedoch gesprächsbereit – wenn auch seine Möglichkeiten bei bestimmten Themen eingeschränkt seien. Statt sich hinter Allgemeinplätzen zu verstecken, antwortete der CDU-Politiker auf die meisten Fragen ganz direkt. Beispiel Entbudgetierung: Hier ließ der Minister keinen Zweifel, dass daraus mit ihm so schnell nichts werde. „Einfach nur entbudgetieren, das werden wir nicht machen“, so Spahn. Zu groß sei der Anreiz zur Leistungsausweitung. Allerdings könne er sich regionale Modelle in den Kassenärztlichen Vereinigungen vorstellen, räumte der Minister ein.

Medizinstudium als Privileg

Ähnlich äußerte Spahn sich auf eine Wortmeldung der ehemaligen Präsidentin der Bundesvertretung der Medizinstudierenden, Jana Aulenkamp, zum Thema Regresse. Ganz ohne sie gehe es nicht, denn am Ende handele es sich um Versichertengelder, die zwangsweise erhoben würden. Als Minister habe er die Verpflichtung, einen Rahmen zu setzen, der das Maß des Notwendigen nicht überschreite. Auch die von Aulenkamp angeprangerte Landarztquote verteidigte Spahn mit dem ähnlichen Argument: Beim Medizinstudium handele es sich um ein Privileg, das „in ein Arbeitslosigkeitsrisiko von null Prozent“ führe. Bei dem teuersten Studium, das sie finanziere, dürfe eine Gesellschaft schon fragen, mit welchem Ziel studiert werde. Mit dem Schritt in die kassenärztliche Versorgung begebe man sich gleichzeitig „ein Stück weit in Regulierungszusammenhänge rein“.

Mehr Geschwindigkeit bei der ePA

Bei der folgenden Diskussion blieb der Minister seiner Linie treu: Pauschale Anwürfe ließ Spahn nicht gelten, bei konkreten Vorschlägen signalisierte er Gesprächsbereitschaft. So holte sich Dr. Axel Brunnengraber von der KV Niedersachsen mit dem Vorwurf, die Selbstverwaltung könne die Dinge per se besser regeln, einen Korb. Spahn: „Wenn ich fünf Jahre den Bürgern in meinem Wahlkreis beim gleichen Problem sage: ‚Selbstverwaltung, da kann ich nichts machen‘ dann stärkt das nicht das Vertrauen in Politik.“ Er sei ein großer Fan der Selbstverwaltung, aber manchmal müsse die Politik halt eingreifen. Auch beim Thema Digitalisierung zeigte sich Spahn entschlossen: Er werde bei der Gematik und der elektronische Patientenakte mehr Geschwindigkeit reinbringen. Es könne nicht sein, dass nach 14 Jahren immer noch nichts passiert sei. „Hacker hin oder her“, so der Minister.

Spielraum bei den neuen Vergütungsregelungen

Mehr Verständnis zeigte Jens Spahn bei der Ausgestaltung der neuen Vergütungsregelungen. Spahn nahm die Kritik der Vorsitzenden der KBV-VV, Dr. Petra Reis-Berkowicz, ländliche Hausarztpraxen mit vielen chronischen Patienten würden durch die Neuregelungen benachteiligt, zur Kenntnis, spielte sie aber gleichzeitig an die Hausärzteschaft zurück. Man reagiere damit auf das Problem, dass immer mehr Leute sagen, sie suchen einen Hausarzt und finden keinen mehr. Dr. Dirk Heinrich, Vorstand des Spitzenverband Fachärzte Deutschlands, mahnte an, die offene Sprechstunde freiwillig zu gestalten. Die betroffenen Fachgruppen hätten genügend Kollegen, die eine offene Sprechstunde anbieten würden. Allerdings sei es durch spezifische Praxisbesonderheiten nicht für jeden Arzt sinnvoll. Außerdem sei die Freiwilligkeit für die Ärzte als Freiberufler ein entscheidendes Element.

Dass von der zusätzlichen Vergütung aufgrund der gedeckelten Gesamtvergütung am Ende womöglich gar nichts in den Praxen ankomme, rechnete Frank Dastych, Vorstand der KV Hessen, vor. Er wolle die Sache prüfen, so der Minister. Skeptisch zeigt sich Spahn gegenüber möglichen Strafgebühren für nicht wahrgenommene Facharzt-Termine. Der Aufwand sei in der Praxis zu hoch. Schließlich müsse nachgewiesen werden, dass der Termin tatsächlich an den Patienten vergeben worden sei.

KV Schleswig-Holstein fordert „Neuen Deal“

Viel Applaus bekam der Vorschlag von Dr. Ralph Ennenbach, KV-Vize in Schleswig-Holstein. Ennenbach rief den Minister zu einem „Neuen Deal“ auf: „Sie öffnen für die Grundleistungen das Budget für eine gewisse Zeit. Sie schreiben uns vor, was Sie dafür verlangen. Wir liefern oder wir liefern nicht.“ Wenn das Ziel erreicht werde, dass die Patienten einen Termin bekommen, sei er für Vieles zu haben, antwortete Spahn. Das KBV-Modell verschiedener Versichertentarife sehe er in der aktuellen politischen Konstellation als nicht machbar an. Zudem sei das „in der Umsetzung nicht so easy“, wie von KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister vorab vorgetragen, äußerte sich der CDU-Mann.

Kritik am Ländereinfluss bei Zulassung

Einen Schwerpunkt der Debatte bildete die Bedarfsplanung. Stein des Anstoßes hier: der ausgeweitete Einfluss der Länder. An der Sache könne er nichts ändern, so der Minister. Dieser Vorschlag von den Ländern habe sich in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Daran änderten auch die aus Hamburg skizzierten Systemprobleme nichts. Walter Plassmann, Vorsitzender der KV Hamburg, kritisierte, dass die Bundesländer künftig in den Zulassungsausschüssen mit am Tisch sitzen und gleichzeitig die Rechtsaufsicht haben. Dr. Heinrich, diesmal in seiner Funktion als VV-Vorsitzender in der Hansestadt, hinterfragte die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Länder, die Bedarfsplanung örtlich aufzuheben und die Zulassungsausschüsse zu umgehen: „Nach welchen Kriterien sagt zum Beispiel Hamburgs Gesundheitssenatorin, in der Schlossstraße zwischen Nummer vierzehn und Nummer sechszehn, da fehlt ein Gynäkologe, da hätte ich noch gerne einen?“ Er halte das auch für problematisch, es stehe aber so im Koalitionsvertrag, gab Jens Spahn mit Verweis auf die Überzahl der Ländervertreter in den Koalitionsverhandlungen zu. Er wage allerdings die Prognose, dass die Länder die Möglichkeit kaum nutzen werden.

Toxisches Gemisch aus Bedarfsplanung und Budgetierung

Dass die Gesundheitspolitik eine Kursänderung vornehme müsse, unterstrich Dr. Peter Heinz, Vorsitzender der KV Rheinland-Pfalz. Man habe in der KV in den nächsten fünf Jahren einen Nachbesetzungsbedarf von 60 Prozent über alle Fachrichtungen. Angesichts dieser bedrohlichen Situation wirke das Erfolgsrezept aus Bedarfsplanung und Budgetierung gegen die Ärzteschwemme der Neunziger Jahre heute toxisch. Heinz appellierte zu mehr Mut der Politik: „Ohne Unterlassung der Budgetierung können Sie gestalten wie Sie wollen. Sie werden das Problem mit dem Nachbesetzungsbedarf nicht lösen.“

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