Bei den Rückforderungen, die über die Prüfungsstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen und regionalen Krankenkassen in der letzten Woche versandt worden sind, geht es um Arzneimittel zur Behandlung von Allergiepatienten in Form einer Spezifischen Immuntherapie (SIT) oder auch Hyposensibilisierung genannt. „Den uns vorliegenden Rückmeldungen unserer Mitglieder nach handelt es sich durchweg um Präparate im Zulassungsprozess nach Therapieallergene-Verordnung“, erklärt Heinrich. Für die sogenannten TAV-Präparate habe der Gesetzgeber im Jahr 2008 klare Anforderungen zum Nachweis der Wirksamkeit gemacht und gleichzeitig lange Übergangsfristen festgelegt. Heinrich: „Bei dieser Art von Allergiemedikamenten brauchen Wirksamkeitsstudien in der Regel fünf bis acht Jahre. Mitunter kann es sogar noch länger dauern, da für die nach wissenschaftlichem Goldstandard durchgeführten Studien bestimmte Bedingungen, wie Pollenflug oder Jahrestemperatur, benötigt werden.“ Genau aus diesem Grund finden sich in der TAV lange Übergangsfristen, erläutert der Hamburger HNO-Arzt.
In dieser Übergangsphase seien alle TAV-Präparate zulasten der gesetzlichen Krankenkassen erstattungsfähig, fährt Heinrich fort: „Alle TAV-Präparate werden vom Paul-Ehrlich-Institut und damit einer Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums bei der Chargenfreigabe auf ihre Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität geprüft. Die Präparate sind damit absolut unbedenklich am Patienten einzusetzen und haben zudem bereits ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt.“ Aus diesem Grund können TAV-Arzneien im Zulassungsprozess von Vertragsärztinnen und -ärzten wirtschaftlich verordnet werden, ergänzt Heinrich.
Diese Sicht werde von namhaften Fachjuristen sowie der einschlägigen Rechtsprechung untermauert, so HNO-Präsident Heinrich weiter. „Von TAV-Präparaten im laufenden Zulassungsprozess als ‚Therapieallergenen ohne gültige Zulassung‘ zu sprechen, ist schlichtweg falsch und nicht mit den Buchstaben der Therapieallergene-Verordnung vereinbar.“ Dies habe auch mit der Sicherstellung der Patientenversorgung zu tun. Aus Sicht der Patienten sei eine Verknappung der erstattungsfähigen Therapieallergene auf Präparate mit TAV-Zulassung eine Katastrophe, erläutert Heinrich. „Es befinden sich noch 50 Präparate im Zulassungsprozess. Würden diese vom Markt verschwinden, hätten Millionen Allergiepatienten ein großes Problem.“
Auch aus wissenschaftlichem Blickwinkel sei das Vorgehen der Viactiv nicht zu begründen, fährt Heinrich fort: „Zahlreiche der Therapieallergene im laufenden Zulassungsprozess wurden von wissenschaftlicher Seite und zum Teil in medizinischen Leitlinien auf europäischer Ebene längst als hochwirksam eingestuft.“ Wenn eine Kasse nun daherkäme und mangels Fachkenntnis die Erstattung dieser Arzneimittel verweigere, sei das ein Schlag ins Gesicht von Patienten und Ärzten. Dass bei der Spezifischen Immuntherapie überhaupt mit Regressen gedroht werde, sei aus wissenschaftlich-ärztlicher Sicht nicht nachzuvollziehen. Heinrich: „Wir haben mit der allergenspezifischen Immuntherapie eine kausale Therapie, also eine Behandlung, die die Ursache einer Erkrankung heilt. Damit unterscheidet sich die SIT grundlegend von anderen Therapien, die nur Symptome lindern können, wie zum Beispiel bei Diabetes-Erkrankungen.“ Gleichwohl meinen Krankenkassen, wie die Viactiv, gegen diese Therapieform ins Feld ziehen und den Rotstift ansetzen zu müssen. „Das ist nicht nur fachlich und juristisch unhaltbar, sondern auch moralisch verwerflich“, so Heinrich.
Das Vorgehen der Krankenkasse könne langfristige Folgen haben, so Heinrich weiter. „Jeder Kollege, der jetzt von der Viactiv in ein Regressverfahren reingezogen worden ist, wird sich in Zukunft zweimal fragen, ob er noch Allergiepatienten behandeln soll oder nicht.“ Bei Forderungen von bis zu 20.000 Euro und mehr, von denen im aktuellen Fall bekannt sei, könne er niemandem verübeln, das Handtuch zu werfen und die Allergologie anderen zu überlassen. Heinrich: „Vielleicht ist das ja die eigentliche, zynische Absicht der Krankenkassen?“ Allein wer sich um die Patientinnen und Patienten kümmern solle, wisse er dann nicht.